30.01.2024, Dienstag, 11:00 Uhr bis 02.06.2024, Sonntag, 17:00 Uhr
Sonderausstellung

Bild: Günther Uecker bei der Arbeit (Foto: Jacob Uecker)

Warum gerade Uecker?, könnte man fragen. Warum hat der Förderkreis des Schweriner Doms gerade Günter Uecker gebeten, neue Kirchenfenster zu entwerfen und der gotischen Backsteinkathedrale, deren Buntverglasung über die Jahrhunderte verlorengegangen war, ihr ursprüngliches, farbiges Licht zurückzugeben?

Der 93-jährige Künstler, der seit 70 Jahren in Düsseldorf lebt, stammt aus Mecklenburg und kennt die dortige Architektur. Und er setzt sich seit Jahrzehnten für die Versöhnung der Weltreligionen ein. 1998/99 etwa gestaltete er den überkonfessionellen Andachtsraum im Berliner Reichstagsgebäude und auch im Schweriner Dom hatte er bereits künstlerisch gearbeitet. 2009 waren dort unter dem Titel „Dialog“ Friedensgebote aus dem Alten Testament und Verse aus dem Koran zu lesen, die Uecker auf lange Stoffbahnen geschrieben und im Chor aufgehängt hatte.

„Nicht nur Museumsbauten sind Orte der Kunst“, sagt Günther Uecker. „Diese Gotteshäuser – ob christliche Kirche, Synagoge, Moschee oder Tempel – sind Stein gewordenes Halleluja, das wir aus dem Unsichtbaren formulieren. Himmlische Ortschaften, in denen Gebet und Liturgie ihren Platz haben und die eine Vertiefung in die Glaubensdimension außerhalb jeder Rationalität, außerhalb des Erkennbaren und damit die Vergegenwärtigung göttlicher Existenz unmittelbar möglich machen. Wie eine Schatulle, die ein Geheimnis birgt, welches sie nun dem Betrachter im Innern offenbart.“

2020, im Jahr der Pandemie, arbeitete der Künstler zurückgezogen in seiner Werkstatt im Düsseldorfer Hafen an den Fensterentwürfen, die er „Lichtbogen“ nennt. Jeweils ein weißer Bogen, ausgespart aus Blau, das so weit ist wie der Himmel und so tief wie das Meer, schreibt sich in die Wölbung des gotischen Spitzbogens ein. Für Uecker war das Jahr der Bedrohung als Zeit der inneren Einkehr auch eine Phase der Inspiration und tieferen Erkenntnis.

Günther Uecker beschreibt den Arbeitsprozess wie folgt: „Wasserfarben, Tinte, Tempera und Leim, vermischt, auf Papier und Leinwand aufgetragen, bilden im Vermischen der Pigmente im Wasser eine fließende Randzone. Ein Lichtbogen, der uns ins Universum führt auf der Narbe unserer Verletzungen.“ Und er fährt fort: „Der Pinselstab, angebunden wie ein Zirkel, bildet eine Linie, durchdringt den Malgrund im Aufbegehren einer Lebenskraft, wie ein Stoßgebet eines vitalen Handelns, eine Bedrängnis zu überwinden.“

Ueckers Entwürfe wurden von den Derix Glasstudios in Taunusstein ausgeführt. Die ersten beiden von insgesamt vier von Uecker gestalteten Fenstern sind am 17. September 2023 mit einem Gottesdienst im Schweriner Dom der Gemeinde übergeben worden. Fenster drei und vier werden im Herbst 2024 folgen.

Das Goethe-Museum Düsseldorf zeigt erstmals 13 jeweils drei Meter hohe Fenster-Entwürfe Günther Ueckers auf Leinwand sowie Tafeln aus geätztem und mit Glasschmelzfarben bemaltem, blauem Überfangglas, an denen man nachvollziehen kann, wie die aquarellartig fließenden Farbverläufe und die wie Lichtreflexe auf dem Meer glitzernden Aussparungen in Glas „übersetzt“ wurden. Ein Film von Michael Kluth dokumentiert die Anfänge des Projektes von Ueckers Begehung des Schweriner Doms bis zur Betrachtung der „Lichtbogen“ beim Besuch des Pastors Volker Mischok in Günther Ueckers Werkstatt im Düsseldorfer Hafen.

Darüber hinaus schlagen wir mit Exponaten aus der Sammlung Kippenberg den Bogen zu Goethe: zu seiner Auseinandersetzung mit der Gotik in jungen und in späteren Jahren, zu seiner Faszination für Naturphänomene wie leuchtende Himmelsbögen und zu seinen Beobachtungen zur Farbe Blau in der „Farbenlehre“.

Dort schreibt Goethe: „Die Wirkung dieser Farbe ist so einzig wie ihre Natur. Sie gibt einen Eindruck sowohl von Ernst und Würde, als von Huld und Anmut. Jenes leistet sie in ihrem dunklen verdichteten, dieses in ihrem hellen verdünnten Zustande.“ Und: „Wie wir einen angenehmen Gegenstand, der vor uns flieht, gern verfolgen, so sehen wir das Blaue gern an, nicht weil es auf uns dringt, sondern weil es uns nach sich zieht.“ Womit wir wieder bei Ueckers blauem Lichtbogen sind, „der uns ins Universum führt“.

(Text: Dr. Barbara Steingießer)

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